Ist Akteneinsicht in Pandemiezeiten in der Steuerkanzlei möglich?
In seinem Beschluss vom 18. März 2021, V B 29/20 musste der BFH über die Frage entscheiden, wo die Akteneinsicht im finanzgerichtlichen Verfahren in Pandemiezeiten durch den Prozessbevollmächtigten vorgenommen werden kann.
In dem streitgegenständlichen Sachverhalt beantragte der Beschwerdeführer, im Rahmen einer Klage Einsicht in die Akten durch Übersendung dieser in seine Kanzleiräume nehmen zu können, da dies aufgrund der Covid19-Pandemie geboten sei. Das FG lehnte dies ab. Es vertrat die Ansicht, dass auch im derzeitigen Stadium der Covid-19-Pandemie es pflichtgemäßem Ermessen entspreche, dem Kläger die den Streitfall betreffenden Akten nur in den Diensträumen des Finanzgerichts zur Verfügung zu stellen.
Der BFH entschied, dass die Übersendung von Akten in die Kanzleiräume eines Prozessbevollmächtigten zum Zwecke der dortigen Einsichtnahme auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt sei. Solch ein Ausnahmefall liege allerdings vorliegend nicht vor. Nach § 78 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO können die Beteiligten die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen und sich durch die Geschäftsstelle auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge, Ausdrucke und Abschriften erteilen lassen. Die Akteneinsicht wird dabei durch Einsichtnahme in die Akten in Diensträumen gewährt (§ 78 Abs. 3 Satz 1 FGO). Diensträume in diesem Sinne sind nicht nur die Diensträume des Gerichts, sondern Räumlichkeiten, die vorübergehend oder dauernd dem öffentlichen Dienst zur Ausübung dienstlicher Tätigkeiten dienen und über die ein Träger öffentlicher Gewalt das Hausrecht ausübt. Allerdings – so der BFH – sind die Kanzleiräume des Klägers keine Diensträume i. S. des § 78 Abs. 3 FGO. Weiterhin sind nach der Ansicht des BFH auch keine (ausreichenden) Gründe dafür ersichtlich, von diesen Grundsätzen abzuweichen. Im Ergebnis ist die Akteneinsicht in Kanzleiräumen auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt. Hat das Finanzgericht jedenfalls ein ausgefeiltes Hygienekonzept entwickelt, so ist es dem Prozessbevollmächtigten auch in der derzeitigen Covid-19-Pandemie Lage zuzumuten, die Akteneinsicht vor Ort beim Finanzgericht vorzunehmen.
Es bleibt dabei: anders als beispielsweise in der VwGO oder der StPO kommt eine Übersendung der Akten zur Einsichtnahme in die Kanzleiräume des Prozessbevollmächtigten nur in wenige Ausnahmefällen in Betracht. Dies ist nach (wohl) herrschender Ansicht als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zu werten.
Autor: Jan Reiter