Gestaltungsmissbrauch anlässlich eines Verkaufs einbringungsgeborener Anteile?
Liegen die Voraussetzungen einer speziellen Missbrauchsverhinderungsvorschrift – hier § 8b Abs. 4 KStG a.F. – nicht vor, darf diese Wertung des Gesetzgebers nicht durch eine extensive Anwendung des § 42 AO unterlaufen werden. Geht die steuerliche Gestaltung allerdings über den Regelungsbereich der Spezialnorm hinaus, kann § 42 AO Anwendung finden. Eine Kollision beider Vorschriften scheidet in diesem Fall aus.
Doch nicht jede geschickte Gestaltung, die zu einer Steuerersparnis führt, muss ein Gestaltungsmissbrauch sein, wie das folgende Urteil zeigen wird.
Im vorliegenden Fall (BFH-Urteil vom 09.06.2021 – I R 52/17) streiten die Beteiligung darüber, ob in dem Verkauf von Gesellschaftsanteilen ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO zu sehen ist.
Die Klägerin, eine GmbH, ist Organträgerin der A-GmbH. Diese wiederum ist Anteilseignerin der B-GmbH und zugleich ihre Organträgerin.
Im August 2004 gliederte die B-GmbH einen Teilbetrieb zu Buchwerten auf die neugegründete D-GmbH aus. Im Gegenzug erhielt sie einbringungsgeborene Anteile an der D-GmbH.
Anm.: Aus steuerlicher Sicht war hier zu bedenken, dass diese Anteile nach § 8b Abs.1 Satz 1 Nr. 4 KStG a.F. innerhalb einer Sperrfrist von sieben Jahren nicht nach § 8b Abs. 2 KStG steuerfrei veräußert werden konnten.
Die B-GmbH und die D-GmbH schlossen einen Ergebnisabführungsvertrag.
Mit Vertrag vom 20.11.2007 wurde die F-GmbH neu gegründet. Die D-GmbH übertrug den Geschäftsbereich C mit Wirkung zum 01.10.2007 auf die F-GmbH.
Der Ergebnisabführungsvertrag zwischen der B-GmbH und der D-GmbH wurde mit Vertrag vom 20.11.2007 wegen der folgenden Ereignisse zum 31.12.2007 und damit vor Ablauf der steuerlichen Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren aufgehoben.
Am 09.11.2007 legte die E-KG der B-GmbH ein verbindliches Kaufpreisangebote für den Erwerb der (einbringungsgeborenen) Anteile an der D-GmbH vor. Bei der Kaufpreisfindung wurde der aktuelle Unternehmenswert zugrunde gelegt. Der endgültige Kaufpreis sollte zum angestrebten Erwerbszeitpunkt (30.06.2008) ermittelt werden unter Berücksichtigung der im Erwerbszeitpunkt bestehenden Nettoverbindlichkeiten. Mit Anteilskaufvertrag vom 23.11.2007 veräußerte die B-GmbH alle Anteile an der D-GmbH an den Erwerber E-KG. Der auf den 30.06.2008 ermittelte und von der E-KG an die B-GmbH am 01.07.2008 entrichtetet Kaufpreis war niedriger als der im Anteilskaufvertrag vom 23.11.2007 vorgesehene Kaufpreis.
Dies beruhte u. a. darauf, dass die D-GmbH eine Abschlagszahlung auf den abzuführenden Gewinn an die B-GmbH am 20.12.2007 leistete. Die B-GmbH behandelte die Abschlagszahlung als verdeckte Gewinnausschüttung.
Auf Grund des niedrigeren Kaufpreises für die Anteile an der C-GmbH ergab sich für die B-GmbH ein Veräußerungsverlust. Dieser wurde an die Klägerin als Organträgerin hochgereicht.
Das FG hat die Gestaltung als missbräuchlich angesehen.
Der BFH hält die Revision des Klägers für begründet. Nach der Ansicht der BFH reichen die Feststellungen der Vorinstanz nicht aus, um einen Gestaltungsmissbrauch zu bejahen.
Anwendbarkeit des § 42 AO neben spezieller Missbrauchsvorschrift
Vorliegend war der spezielle Missbrauchstatbestand des § 8b Abs. 4 Satz Nr. 1 KStG a.F. einschlägig. Danach unterliegt der Gewinn aus der Veräußerung einbringungsgeborener Anteile der vollen Besteuerung, sofern die Anteile – wie hier – innerhalb der Sperrfrist von sieben Jahren veräußert werden. Das war unstreitig.
Die parallele Anwendung des § 42 AO ist vorliegend nicht ausgeschlossen. Denn die vertragliche Gestaltung bewegte sich außerhalb des Regelungsbereichs des § 8b Abs. 4 KStG a.F., der speziellen Missbrauchsvorschrift. Der Anwendungsbereich des § 42 ist damit grundsätzlich eröffnet.
Voraussetzungen des § 42 AO
Ein Gestaltungsmissbrauch ist dann gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die – gemessen an dem erstrebten Ziel – unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist.
Steuerminderung
Die Gestaltung zielt vorliegend darauf ab, den ungemindert steuerpflichtigen Gewinn aus der Veräußerung der Anteile an der D-GmbH zu reduzieren. Diese Reduzierung erfolgt über die Aufhebung des Ergebnisabführungsvertrags mit Vertrag vom 20.11.2007 sowie über die geleistete Abschlagszahlung auf den abzuführenden Gewinn. Denn erst die Aufhebung des Ergebnisabführungsvertrags zum 30.12.2007 und damit vor Ablauf der steuerlichen Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren hat dazu zugeführt, dass die Abschlagszahlung als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) gewertet wird. Die vGA unterliegt lediglich mit dem pauschalen Betriebsausgabenabzug von 5 % der Besteuerung. Eine Steuerminderung haben wir somit vorliegen.
Offen ist für den BFH die Frage, ob diese durch wirtschaftliche Gründe zu rechtfertigen ist.
Handelsrechtliche Abführungsverpflichtung
Der BFH hält die Vereinbarung vom 18.12.2007 zwischen der B-GmbH und der D-GmbH eine Abschlagszahlung auf die Gewinnabführung zu leisten, nicht zwingend für missbräuchlich. Denn ein Unternehmensvertrag mit einer abhängigen GmbH könne nur zum Ende des Geschäftsjahres aufgeboben werden. Insoweit bestünde eine handelsrechtliche Abführungsverpflichtung und damit eine wirtschaftliche Rechtfertigung.
Vernünftige wirtschaftliche Gründe für Gestaltung und dauerhaften Bestand der Struktur
Weiterhin wird das FG zu untersuchen haben, ob für die Ausgliederung des Teilbetrieb C im Jahr 2007 auf die F-GmbH „vernünftige wirtschaftliche Gründe“ vorliegen, die den Missbrauchstatbestand ausschließen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Umstrukturierung nicht lediglich formal vorgenommen worden ist, sondern in ihrer Grundstruktur dauerhaft Bestand hatte. Andererseits ist zu bedenken, dass die Umstrukturierungen drei Tage vor Abschluss des Anteilskaufvertrages zwischen der E-KG und der B-GmbH erfolgten. Vor diesem Hintergrund wird das FG erneut zu prüfen haben, ob ein Gestaltungsmissbrauch vorliegt.
Praxishinweis
In der Praxis sollten die wirtschaftlichen Gründe für die Ausgliederung in solchen Fällen von vornherein ordnungsgemäß dokumentiert werden.
Autor: Julia Pietrzik