Grundsteuer – Vergleich der Systeme, verfassungsrechtliche Bedenken und ein konstruktiver Änderungsvorschlag

Der folgende Aufsatz beleuchtet die aktuelle Lage bei der GrSt vor dem Hintergrund der bundesweit unterschiedlichen Regelungen mit dem Fokus auf den Landesmodellen in Hessen und Niedersachsen sowie Bayern und Hamburg.
Bestandsaufnahme
Die „neue“ Grundsteuer spaltet die Bevölkerung – in Gewinner und Verlierer, die aufgrund der Reform weniger oder mehr zahlen müssen. Ausklammern müssen wir dabei die Mehrbelastungen, die dadurch entstehen, dass die Gemeinden die Hebesätze über den „aufkommensneutralen“ Wert angehoben haben.
Die entscheidende Frage ist:
Stehen „die richtigen“ auf der Gewinner- bzw. Verliererseite?
Oder wird nur die alte (verfassungswidrige) Ungleichbehandlung durch eine neue, bloß andere Ungleichbehandlung ersetzt?
Letzteres steht zu befürchten. Viele Grundstückseigentümer beklagen die eingetretenen (teils drastischen) Mehrbelastungen. Die ganze Grundsteuerreform wäre damit nur eine große Augenwischerei, die allen Beteiligten so viel Sand in die Augen gestreut hätte, dass es wieder Jahre oder Jahrzehnte dauern würde, den Durchblick auf eine neuerliche Verfassungswidrigkeit zu gewinnen.
Ganzheitliche Betrachtung fehlendes Interesse
Will man die Grundsteuer „ganzheitliche“ betrachten, muss man sich klarmachen,
- das die Höhe des Steueraufkommens für die Gemeinde gesichert ist, weil dieses das Aufkommen durch den Hebesatz bestimmt und
- die Bestimmung der „Bemessungsgrundlage“ der Gemeinde grundsätzlich ziemlich egal ist!
Aus Sicht der Gemeinde wäre es lediglich von Interesse, ob das Aufkommen gerecht auf die Einwohner verteilt wird. Hierüber entscheidet allerdings nicht die Gemeinde, sondern
- im Bundesmodell der Bundestag und
- in einem Landesmodell der jeweilige Landtag.
Bundestag oder Landtag ist schlussendlich beides egal,
- sowohl das Steueraufkommen der Gemeinde
- als auch die Verteilung der Last innerhalb der Gemeinde,
denn das Steueraufkommen steht weder dem Bund noch den Ländern zu.
Für die Finanzämter (Landesbehörden) ist die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen auch nur eine lästige Pflichtübung ohne eigenen (fiskalisches) Interesse. Wen interessiert schon die Gemeinde?
Allein diese Gemengelage begünstigt von vornherein ein dysfunktionales System.
Überblick über das gesamte Bundesgebiet
Wenn wir einen Blick auf die Situation in der gesamten Bundesrepublik wagen, sind drei Lager zu erkennen:
- das Landesmodell Baden-Württemberg (nur Grundstücksfläche),
- vier Landesmodelle in zwei Pärchen: Hessen und Niedersachsen sowie Bayern und Hamburg (Wertäquivalenz aller Grundstücks-, Wohn-, Nutzfläche) sowie
- das Bundesmodell.
Das Landesmodell Baden-Württemberg stellt lediglich auf die Grundstücksfläche, lässt aber (bei ausreichender Abweichung) den Nachweis eines niedrigeren Verkehrswerts zu
Die Landesmodelle Bayern, Hamburg und Hessen, Niedersachsen (vereinfacht: Landesmodell BHHN) gehen von der Wertäquivalenz der Grundstücks-, Wohn- und Nutzflächen aus und ignorieren reale Werte. Zwischen den Systemen in Hessen und Niedersachsen sowie Hamburg und Bayern bestehen im Detail gewisse Unterschiede, die aber nicht grundlegend sind.
Das Bundesmodell (anzuwenden in 11 Bundesländern) versucht, durch eine vereinfachte Bewertung einen Verkehrswert zu ermitteln. Seit dem 06.12.2024 ist aufgrund einer späten Gesetzesänderung durch das JStG 2024 der Nachweis eines niedrigeren Verkehrswerts möglich, der aber vom gesetzlichen Wert um mindestens ca. 28,58% nach unten abweichen muss.
Verfassungsrechtliche Bedenken
Das Bundesmodell verfolgt daher das Ziel einer Einzelfallgerechtigkeit entsprechend dem Leistungsfähigkeitsprinzip, die zumindest am Wert des Grundstücks orientiert ist. Sofern die gesetzliche Bewertung das Ziel deutlich verfehlt, kann durch ein Verkehrswertgutachten der tatsächliche Grundstückswert nachgewiesen und der Besteuerung zugrunde gelegt werden (§ 220 Abs. 2 BewG). Sofern man nicht das zugrunde liegende System der Bewertung des Grund und Bodens anhand von Bodenrichtwerten anzweifelt (vgl. Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 23.11.2023, 4 V 1295/23), sollte das System verfassungskonform sein, weil es ihm gelingt, im Wesentlichen gleiches gleich und im Wesentlichen ungleiches ungleich zu behandeln.
- Nach meiner Einschätzung daher zwar das komplizierteste aber damit auch das beste Modell.
Das Landesmodell Baden-Württemberg begegnet im Gegensatz dazu grundlegenden Bedenken, da es die Verbindung zwischen Höhe der Grundsteuer und Gebäudewert überhaupt nicht herstellt. Das ist zwar ein unglaublich einfaches System, hat aber keinerlei Bezug zu einem gedachten Belastungsgrund der Steuer. Eine gewisse Steuerung erfolgt allenfalls über die Steuermesszahl, die zu einer geringeren Belastung von Wohngrundstücken führen kann. Die Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG erscheint fraglich.
- Bei näherem Hinsehen „ohne Worte“…
Das Landesmodell BHHN verzichtet ebenfalls auf eine Verbindung zwischen Steuerhöhe und Grundstückswert. Der Grundgedanke der Leistungsfähigkeit, orientiert an der Höhe des Grundstückswerts, wird damit ignoriert.
Mit Urteil vom 23.01.2025, 3 K 663/24, hat das Hessische Finanzgericht entschieden, dass das Hessische Grundsteuergesetz verfassungsgemäß sei, aber die Revision zum BFH zugelassen.
Bemerkenswert ist das Argument des FG zur Leistungsfähigkeit: Als Grundstückseigentümer sei man per se leistungsfähig! Damit wäre die Steuerhöhe vom Grundstückswert entkoppelt und jeder Eigentümer müsste die Steuer in beliebiger Höhe aufbringen können. Mindestens dem Eigentümer einer Schrottimmobilie muss diese Auffassung wie blanker Hohn erscheinen.
Das zugrundeliegende Äquivalenzprinzip stellt auf die Möglichkeit der Nutzung der von der aufkommensberechtigten Gemeinde bereitgestellten Infrastruktur ab. Hier nimmt das Gericht offenbar an, dass die Infrastruktur in größerem Umfang genutzt werden könne, je Größer das Grundstück nach Grundstücks, Wohn- und Nutzfläche ist. Hierzu sollte man beispielsweise eine verwitwete Rentnerin befragen, die das in die Jahre gekommene Familienheim und Elternhaus ihrer Kinder mittlerweile allein bewohnt, sich den Umzug aus der viel zu großen Immobilie aber nicht leisten kann oder will.
Die aktuellen Musterverfahren mögen im Einzelnen vielleicht schlecht begründet sein oder zumindest die falschen Schwerpunkte setzen und keine geeigneten Beispiele für massive Ungleichbehandlungen in den vier Landesmodellen aufführen.
Die verfassungswidrige oder zumindest fragwürdige Ungleichbehandlung insbesondere
- zwischen alten, flächenmäßig großen aber dadurch nicht wertvolleren Grundstücken einerseits und
- neuen, flächenmäßig ggf. kleineren aber gleichzeitig wertvolleren Grundstücke
ist anhand vieler Beispiele in der Praxis offenkundig.
Insbesondere in ländlichen Gemeinden weisen die Grundstücke starke Unterschiede auf, weil oft alte, große Gebäude vorhanden sind, die sich in schlechtem Zustand befinden, wobei große Wohnflächen oft nur schlecht genutzt werden können und gleichzeitig zu hohen Heiz- und Unterhaltungskosten führen bzw. vorhandene Nutzflächen oft nur minimal genutzt werden können. Dies trifft insbesondere auf ehemalige Hofstellen zu, die mittlerweile nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden (können).
Diese Grundstück stehen im Gegensatz nur Objekten mit einer deutlich jüngeren und damit effizienteren Bebauung, bei der die Effizienz nicht nur eine bessere Ausnutzung vorhandener Fläche, sondern gleichzeitig regelmäßig auch eine geringere Wohn- oder Nutzfläche bedeutet. Diese neueren Objekte haben zudem regelmäßig einen höheren Wert als ältere Objekte.
Diese substanziellen Unterschiede finden zwar im Bundesmodell ihren Niederschlag, nicht aber im Landesmodell BHHN.
Wie eine Relation zwischen Grundstücksgröße und Nutzung der Infrastruktur hergestellt werden soll, ist bei näherer Betrachtung nicht erkennbar. Die Nutzung der gemeindlichen Infrastruktur hängt hingegen eher von Faktoren ab wie
- Anzahl und
- Alter der Bewohner.
Denn die Infrastruktur wird von den Menschen genutzt, die die Grundstücke bewohnen, nicht von den Grundstücken selbst. Soll der Äquivalenzgedanke konsequent verfolgt werden, müsste zunächst eine Relation hergestellt werden zwischen der Grundsteuer und der Anzahl der Bewohner des Grundstücks (als Objekt der Besteuerung, denn die Grundsteuer fällt dem Grunde nach in die Kategorie der Objektsteuern). Diese Relation besteht allerdings nicht, da für die Höhe der Grundsteuer im Landesmodell BHHN nur die Flächen maßgebend sind, nicht aber die Anzahl der Bewohner. Zwischen Flächengröße und Anzahl der Bewohner besteht wohl unstreitig kein Zusammenhang, da ein größeres Grundstück nicht zwangsläufig mehr Bewohner bedeutet.
Bei der Nutzung der gemeindlichen Infrastruktur ist weiter zu beachten, dass diese z.B. bei einer Familie mit Kindern anders aussieht als bei einem Rentnerehepaar und bei einer Ferienwohnung anders als bei einem permanent genutzten Objekt.
Hinsichtlich einer Anknüpfung der Grundsteuer an die Nutzung der kommunalen Infrastruktur wäre die Belastung daher als willkürlich anzusehen. Das Argument kann daher nicht geeignet sein, Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit auszuräumen. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Damit bleibt der Aspekt der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Hier vermag das Landesmodell nicht schlüssig zu erklären, wieso ein größere Grundstück bzw. eine größere Wohn- oder Nutzfläche automatisch zu einer höheren Leistungsfähigkeit führen sollte.
Der aktuelle Zusammenhang lautet „mehr Fläche = höhere Grundsteuer“, ohne auf den Wert der Fläche abzustellen. Dies wäre zutreffend, wenn in einer Gemeinde tatsächlich alle Wohnflächen den gleichen Wert pro m² vermitteln würden. Da weder der Gebäudestandard, noch das Gebäudealter oder die tatsächliche Ertragskraft berücksichtigt werden, ist offenkundig, dass bei zwei Vergleichsobjekten z.B. eine höhere Wohnfläche gleichwohl einen niedrigeren Wert bedeuten kann, wenn sich insbesondere das Gebäudealter deutlich unterscheidet.
Die Kriterien, die im Landesmodell BHHN über die Verteilung der Grundsteuerbelastung auf die Grundstückseigentümer regeln, tragen daher weder dem Äquivalenzgedanken noch dem Leistungsfähigkeitsprinzip Rechnung.
- Es sprechen bei Betrachtung aus dem entsprechenden Blickwinkel viele Argumente gegen eine verfassungskonforme Regelung.
Mindestens aber sind die Regelungen derart unausgewogen, dass die Landesgesetzgeber eine Änderung ernsthaft ins Auge fassen sollten.
Warum nicht eine Änderung wagen?
Die Landesgesetze sind ein erster Versuch gewesen, vergleichbar einer Softwareversion 1.0. Warum sollte es kein Update geben?
Bei unseren Handys, Tablets, Computern sind wir an laufende Verbesserungen gewöhnt, mit denen die Anbieter naturgemäß eingestehen, dass die vorangegangenen Entwürfe noch nicht optimal waren und nun zum Wohl der Nutzer verbessert werden.
„Wer einen Fehler gemacht hat und nicht korrigiert, begeht einen zweiten.“
Konfuzius
Ein einfacher Weg, dass System des Landesmodells BHHN zu verbessern, wäre die Einführung eines Alterswertfaktors.
Dieser Alterswertfaktor stammt aus der Bewertung im Sachwertverfahren gem. § 190 Abs. 6 BewG und entspricht einer linearen Alterswertminderung. Effektiv handelt es sich um einen Faktor ≤ 1,0.
Dieser wird in die Berechnung des anteilig auf die Wohn- bzw. Nutzfläche entfallenden Grundsteuermessbetrags eingefügt. Gesetzestechnisch ist z.B. eine Multiplikation mit der Äquivalenzzahl für die Gebäudefläche denkbar. Dies hat den Vorteil, dass die Berechnung sich nur unwesentlich ändert.
Der konkrete Faktor würde sich durch das Alter des Gebäudes im Hauptfeststellungszeitpunkt (aktuell der 01.01.2022) und die typisierte Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes ergeben. Dabei könnte von einer einheitlichen Gesamtnutzungsdauer von 80 Jahren für alle Gebäude ausgegangen werden.
Zur Berücksichtigung baulicher Maßnahmen, die zu einer wesentlichen Verlängerung der Nutzungsdauer geführt haben, kann auf die Regelungen zum Bundesmodell zurückgegriffen werden (vgl. Abschn. 259.5 Abs. 4 AEBewGrSt), wonach bei einer „Kernsanierung“ von einem fiktiven späteren Baujahr auszugehen ist.
Die Minderung des Alterswertfaktors könnte in Baujahrsgruppen von jeweils 7 Jahren erfolgen, damit sich eine Änderung nicht jedes Jahr ergibt, sondern nur im sowieso gesetzlich vorgesehenen Turnus.
Der Alterswertfaktor sollte 0,3 nicht unterschreiten können, um das Vorhandensein eines Mindestwerts von 30% wie im Sachwertverfahren gem. §§ 189 – 191 BewG zu berücksichtigen.
Durch die Einführung eines Alterswertfaktor würde das bestehende System im Landesmodell BHHN zumindest gerechter werden, da ein älteres Gebäude bei ansonsten gleichen Eckdaten regelmäßig weniger wertvoll ist als ein neueres Gebäude.
Gleichzeitig muss das Gesetz nicht grundlegend umgekrempelt werden, sondern nur in einem kleinen Punkt ergänzt. Die von den Steuerschuldnern (Grundstückseigentümern) zu erklärenden Daten würden sich grundsätzlich auf die zusätzliche Angabe des Baujahrs jedes Gebäudes begrenzen. Die Angabe könnte so unproblematisch erfolgen wie die jährliche Meldung des Stands eines Strom- oder Wasserzählers!
Denn: Die Finanzverwaltung verfügt über aktualisierte Grundstücksangaben, hat für alle Grundstücke neue Aktenzeichen/Steuernummern erteilt. Im Wege eines vorausgefüllten Formulars müssten nur die bereits gemeldeten und damit vorhandenen Gebäudeflächen nach Gebäuden getrennt aufgeführt werden, um dem Grundstückseigentümer die Ergänzung des Baujahrs zu ermöglichen.
Gleichzeitig muss erfragt werden, ob eine Kernsanierung stattgefunden hat. Im Bundesmodell waren entsprechende Angaben bereits mit den ursprünglichen Steuererklärungen abgefragt worden.
Persönliches Anliegen des Autors
Um eine entsprechende Änderung des Niedersächsischen Grundsteuergesetzes (NGrStG) anzuregen, habe ich (Thore Guse persönlich) am 10.03.2025 einen Antrag für eine öffentliche Petition gestartet. Der Niedersächsische Landtag wird über die Annahme erst am 07.05.2025 entscheiden („Deutschlandgeschwindigkeit“). Bei positiver Entscheidung brauche ich innerhalb von 6 Wochen 5.000 Mitzeichnerinnen und Mitzeichner. Kommt diese Zahl zustande, wird mich der Petitionsausschuss des Niedersächsischen Landtags anhören!
Über den Ausgang des Verfahrens halten wir Sie auf dem Laufenden!
Vielleicht schaffen wir es auf diesem Weg, politisches Gehör für mehr Steuergerechtigkeit zu finden.
Autor: Thore Guse
Foto: Artful Homes via Unsplah