Praktikerwissen: Grundbesitzbewertung und Nießbrauch/Wohnungsrecht

Wie berücksichtigt man eigentlich bei einer Grundstücksschenkung ein vorbehaltenes Nießbrauchs- oder Wohnungsrecht?
Der Fall kommt in der Praxis häufig vor:
Ein Elternteil überträgt Grundstückseigentum auf ein Kind, behält sich aber den Nießbrauch oder ein Wohnungsrecht vor.
Die regelmäßige steuerliche Behandlung sieht dabei so aus:
- Grundstück und Nießbrauch sind steuerlich zwei getrennte wirtschaftliche Einheiten und werden daher getrennt behandelt, insbesondere getrennt bewertet
- Bewertung des Grundstücks mit dem Grundbesitzwert gem. § 151 Abs. 1 Nr. 1, § 157, §§ 176 ff. BewG
- Bewertung des Nießbrauchs gem. §§ 13 bis 16 BewG (Kapitalwert)
- das Grundstück gilt als vollständig geschenkt, der Kapitalwert wird aber bereicherungsmindernd abgezogen (vgl. R E 7.4 ErbStR)
- sofern für das Grundstück Steuerbefreiungen gewährt werden, ist der Abzug des Kapitalwerts auf den Anteil beschränkt, mit dem das Grundstück steuerpflichtig erworben wurde (§ 10 Abs. 6a ErbStG)
- der Grundbesitzwert wird durch das „Lage-Finanzamt“ gesondert festgestellt
- über die Höhe des Kapitalwerts des Nießbrauchsrechts entscheidet das für die Steuerfestsetzung zuständige Finanzamt
Achtung: Ist das Nießbrauchsrecht auf die Lebensdauer einer Person vereinbart und damit gem. § 14 Abs. 1 BewG nach dieser unter Berücksichtigung der „Sterbetafel“ zu bewerten, besteht der „Vorbehalt“ der rückwirkenden Neuberechnung nach der tatsächlichen Dauer, wenn der Nießbrauchsberechtigte innerhalb der in § 14 Abs. 2 BewG festgelegten „Mindestdauer“ verstirbt. Damit erhöht sich rückwirkend die Bereicherung des Erwerbers und es kommt ggf. zu einer nachträglichen Besteuerung.
Es ist aber auch folgende abweichende Behandlung möglich:
Beim Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts des Grundstücks gem. § 198 BewG durch ein Verkehrswertgutachen (Marktwert i.S.v. § 194 BauGB, ermittelt gem. § 199 BauGB i.V.m. ImmoWertV) ist es möglich, die Grundstücksbelastung durch Nießbrauch oder Wohnungsrecht unmittelbar bei der Ermittlung des Verkehrswerts abzuziehen.
In diesem Fall wird bereits der gem. § 151 Abs. 1 Nr. 1 BewG gesondert festzustellende Grudnbesitzwert um den Kapitalwert der Belastung gemindert. Für diesen Fall stellt § 10 Abs. 6b ErbStG klar, dass der Kapitalwert nicht „noch einmal“ abgezogen werden darf.
Welche Vorteile bzw. weitere Folgen hat diese Variante?
- insbesondere kann sich der vorzeitige Wegfall des Nießbrauchs- oder Wohnungsrechts durch den Tod des Berechtigten nicht mehr steuerlich auswirken, da § 14 Abs. 2 BewG nicht zur Anwendung kommt, weil die Belastung bereits in den Grundbesitzwert eingepreist war und nicht gesondert abgezogen wurde
- die Berechnung des Nießbrauchs-/Wohnungsrechts richtet sich nach den Vorschriften der ImmWertV, damit sind ggf. Begrenzungen durch § 16 BewG (Höchstbetrag des Jahreswerts) nicht zu beachten.
Autor: Thore Guse
Foto: Luke van Zyl via Unsplash