Von der Vollverschonung zur Regelverschonung?

In seinem Urteil vom 26. Juli 2022, II R 25/20 beschäftigte sich der BFH gleich mit mehreren interessanten und wichtigen Fragestellungen zu den Begünstigungsnormen der §§ 13a, b ErbStG. Zwar erging die Entscheidung zum alten Recht, gleichwohl dürften beide Entscheidungen auch auf das heutige ErbStG uneingeschränkt Anwendung finden.

In dem Streitfall schenkte die Mutter (M) Beteiligungen an vier KGs (KG1, KG2, KG3 und KG4) an ihre Tochter T. Zunächst wurde für alle vier Beteiligungen die sog. Regelverschonung (Steuerbefreiung in Höhe von 85%) gewährt. In der Folge stellte das für die Bewertung zuständige Finanzamt die Werte der Anteile am Betriebsvermögen für Zwecke der Schenkungsteuer sowie die Verwaltungsvermögensquoten gesondert fest. Für den KG 2-Anteil wurde eine Verwaltungsvermögensquote von 13,74 % mitgeteilt. Für alle KG-Anteile zusammen lag die Quote unter 10 %.

T beantragte für den gesamten Erwerb der KG-Anteile die Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 8 ErbStG a.F. (Vollverschonung, Steuerbefreiung in Höhe von 100%). Das Finanzamt lehnte dies ab und gewährte für die übertragenen Anteile an den KG1, KG3 und KG4 die Vollverschonung, für den Anteil an der KG2 weder die Regel- noch die Vollverschonung.

Der BFH entschied, dass das Finanzamt zu Recht die Verschonung für den Anteil an der KG4 versagt habe.

Zunächst stellte der BFH klar, dass jede KG als eigenständige wirtschaftliche Einheit zu verstehen sei, was auch für den relevanten Anteil des Verwaltungsvermögens gelte. Es gibt, so der BFH, keinen sachlichen Grund, bei Anwendung der Vollverschonung die Ermittlung der Verwaltungsvermögensquote abweichend von diesen Grundsätzen für alle im Rahmen eines Erwerbs übertragenen wirtschaftlichen Einheiten kumuliert zu berechnen.

Der Antrag auf Vollverschonung kann bei einer einheitlichen Schenkung mehrerer wirtschaftlicher Einheiten für jede erworbene wirtschaftliche Einheit (also für jede KG) gesondert abgegeben werden. Das Gesetz bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass die Erklärung nur einheitlich für alle wirtschaftlichen Einheiten abgegeben werden könne.

Wird allerdings der Antrag auf Vollverschonung gestellt, so ist dieser unwiderruflich. Wurde die optionale Vollverschonung für eine wirtschaftliche Einheit erklärt, die die Anforderungen an die Vollverschonung nicht erfüllt, ist für diese wirtschaftliche Einheit auch die Regelverschonung nicht zu gewähren, selbst wenn deren Voraussetzungen erfüllt sind.

Im Ergebnis, so der BFH, ist das Finanzamt also zu Recht davon ausgegangen, dass für die Übertragung der Anteile der KG2 weder die Vollverschonung noch die Regelverschonung gewährt werden kann.

Für die Praxis bedeutet dies, dass bei jeder Übertragung einer wirtschaftlichen Einheit genau geprüft werden sollte, ob der Antrag auf Vollverschonung wirklich gestellt werden sollte. Ein einmal gestellter Antrag auf Vollverschonung ist unwiderruflich. Insbesondere sollte hier im Blick behalten werden, dass kein „Rückfall“ auf die Regelverschonung erfolgt, wenn die Voraussetzungen der Vollverschonung – aus welchem Grund auch immer – nicht vorliegen.

Autor: Jan Reiter