Zufluss nicht ausgezahlter Tantiemen bei beherrschendem Gesellschafter-Geschäftsführer
Fraglich war im vorliegenden Urteilsfall, ob ein Gesellschafter-Geschäftsführer auf vertraglich vereinbarte Tantiemen Lohnsteuer zahlen muss, obwohl er das Geld nicht erhalten hat.
Tantiemen gehören grundsätzlich zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG). Im Rahmen dieser Einkunftsart sind die Einnahmen im Zeitpunkt des Zuflusses zu versteuern. Zufluss tritt in der Regel ein, wenn der Geldbetrag in bar ausgezahlt wird oder auf dem Konto des Empfängers gutgeschrieben wird.
Eine Sonderregelung besteht für beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer. Diesen fließen Einnahmen aus Tantiemen schon bei deren Fälligkeit zu. Fällig wird der Tantieme-Anspruch regelmäßig mit der Feststellung des Jahresabschlusses. Denn der beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer hat es typischerweise in der Hand, sich den Betrag von seiner GmbH auszahlen zu lassen. Eine von diesen Grundsätzen abweichende Regelung zur Fälligkeit kann im Arbeitsvertrag vereinbart werden.
Im Streitfall war der Kläger alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH. Im Geschäftsführervertrag wurde die Auszahlung einer jährlichen Tantieme zugesagt. Danach war die Tantieme einen Monat nach Feststellung des Jahresabschlusses zu zahlen.
Tatsächlich wurden die laut Geschäftsführervertrag vereinbarten Tantiemen in den Streitjahren weder ausgezahlt noch hat die GmbH in den Jahresabschlüssen entsprechende Passivposten gebildet. Dementsprechend gab der Kläger keine entsprechenden Einnahmen in seinen Einkommensteuererklärungen an.
Das Finanzamt stellte sich hingegen auf den Standpunkt, dass dem Kläger die Tantiemen auch ohne tatsächliche Auszahlung und ohne Bilanzierung der Verbindlichkeit im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung zugeflossen seien, und unterwarf sie dem Lohnsteuerabzug.
Der BFH geht davon aus, dass bei beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern auch ohne Zahlung oder Gutschrift grundsätzlich ein Zufluss vorliegen kann, nämlich mit Fälligkeit der Forderung. Fällig wird der Anspruch auf die Tantiemen grundsätzlich mit der Feststellung des Jahresabschlusses – was aber nach Ansicht des BFH die Bilanzierung einer entsprechenden Verbindlichkeit durch die Gesellschaft voraussetzt.
Nach diesen Grundsätzen waren die Tantiemen dem Kläger mangels Fälligkeit nicht zugeflossen, da die GmbH hat die Forderungen des Klägers in den Jahresabschlüssen nicht als Verbindlichkeit abgebildet hatte.
Damit weicht der BFH von der Beurteilung durch die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 12.05.2014, BStBl 2014 I S. 860, ab. Das BMF geht von einem Zufluss auch bei unterlassener Bilanzierung der Verbindlichkeit aus.
Im Einzelfall ist auch aus Sicht des BFH zu prüfen, ob die unterlassenen Tantiemenzahlungen verdeckte Einlagen darstellen. Das wäre dann der Fall, wenn der Kläger auf die bereits entstandenen Ansprüche verzichtet hat. Um dies zu klären, hat der BFH das Urteil aufgehoben und den Fall an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Empfehlung für die Praxis
Um mögliche Unsicherheiten zu vermeiden, sollte die Aufhebung von Tantiemevereinbarungen schriftlich festgehalten werden, wenn dies im Ergebnis gewollt ist. So wird ein „ungewollter Zufluss“ nicht ausgezahlter Tantieme vermieden. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass
- die Finanzverwaltung weiterhin (bis zu einer allgemeinen Anwendung der Urteilsgrundsätze) gem. BMF-Schreiben vom 12.05.2014 von einem Zufluss aufgrund Fälligkeit auch bei fehlender Bilanzierung der Verbindlichkeit durch die Gesellschaft ausgeht und
- die Finanzgerichte (FG und BFH) über den „Umweg“ der verdeckten Einlage im Ergebnis auch einen Zufluss annehmen würden.
Ob das BMF-Schreiben vom 12.05.2014 geändert wird bzw. wann ist aktuell ungewiss, daher müssen vorerst die Grundsätze des BFH-Urteils vor dem Finanzgericht geltend gemacht werden, soweit lediglich die Bilanzierung der Verbindlichkeit durch die Gesellschaft unterblieben ist.
Es ist anzunehmen, dass der BFH bei einer pflichtwidrig unterbliebenen Passivierung der Zufluss mit Berichtigung des Jahresabschlusses vorliegt, sofern nicht vorher eine tatsächliche Auszahlung erfolgt.
Fundstelle: BFH-Urteil vom 05.06.2024, VI R 20/22
Autor: Julia Pietrzik, Thore Guse